ARIADNE Zettelkasten

3. Januar 2022



Mitternacht 6. November 2021

FOLIO* I

Wie ein sanfter Regen erreichten die gefrorenen Tropfen die Erde. Eiskristalle, die ich auf meinen Handrücken wie kleine Schmetterling fing und genau betrachtete, solange sie lebten. Orfeo-Transition – Übergang, Scheideweg, Gabelung, Weiche, Sackgasse, Verkehrsknoten – einspurig. Alle Flocken schienen seltsam gleich. Wie kleine Labyrinthe, die ihr Geheimnis wahrten; schmolzen sie schließlich, durch die Wärme meiner Haut, wieder zu Wasser.

Nicht sehr stabil, dachte ich, was meinem eigenen Zustand sehr glich. Ich hatte meine Stimme verloren, nicht physisch, sondern eher wie eine Dauer-Schneeflocke, die sich nicht mehr hingeben, nicht mehr in die Welt schmelzen wollte. Kein Antrieb, kalt auf das Geben programmiert, hatte ich einfach meine Stimme verlegt. Die Reste des Resonanzkörpers dienten lediglich dazu meinen Schüler*innen zu erklären, wie sie ein Stück des Wunders ihrer eigenen Stimme gewahr werden konnten – was auch hier und da gelang.

Auf der Suche nach meiner inneren Stimme war ich zwar im Nichts gestrandet. Doch noch wollte ich nicht aus dieser Welt, sondern wieder in sie hinein. Zurück in meine Welt, bemühte ich Mythen, Märchen und Sagen und fand schließlich ARIADNE. Eine griechische Frauengestalt, ja Heldin, einer fast unscheinbaren Geschichte über die Suche und das Finden des richtigen Weges.

Quo vadis? Was ist mein richtiger Weg?  – wo finde ich diesen Weg zu mir selbst, ohne den Flitter und Sternenstaub meines Gesanges, der mir immer mit Leichtigkeit aus meiner tiefsten Seele hallte? Hallo Echo – hallo Gott! Wo war der Ort, an dem ich, ohne Klang und Geräusch, in der Stille des Eigenen, einen gangbaren Pfad unter meinen nackten Füßen ertasten konnte? Wer streute die Brotkrümel aus? Wer gab mir das Wollknäuel zu meiner eigenen Sicherheit mit? ARIADNE – Du?

ARIADNE selbst ebnete mir den Pfad, ordnete verschwunden geglaubte Gedanken, ließ bleierne Sehnsucht frei; und schoss mich in eine neue Umlaufbahn. Eine vollumfängliche Rekonvaleszenz meiner Seele, die wund und gradlinig in den Abgrund zu stürzen drohte. Sie richtete auf, wo mir der Rücken schwoll, um zu brechen, vor lauter Bewegungslosigkeit. Da meine Kehle schier vertrocknete, keine kostbaren Schallspezereien mehr barg, spendete sie Feuchtigkeit, die zu lange im Trockenen geruht hatte. Vergoss sie mit graziler Leichtigkeit Inspiration über mein Haupt, weckte den Sänger im Schlaf, wo er ruhte, um zu vergessen im halben Tod – ARIADNE.